Überleben

 

1990 ist in Deutschland ein Buch mit dem Titel “Trotz allem – Wege zur Selbstheilung für sexuell missbrauchte Frauen” erschienen. Nicht in einem der großen Verlage, sondern im Orlando Frauenverlag. Es ist den Feministinnen der siebziger und achtziger Jahre zu verdanken, dass das Thema sexueller (Kindes-)Missbrauch überhaupt ein Thema wurde. Und es ist auch kein Zufall, dass es sich um ein Selbsthilfebuch handelt. Kindern und Frauen wurde und werden (wieder) das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper allzu oft nicht zugestanden, gerne auch unter zu Rate Ziehung von „Experten“.

 

Überlebende

Aber zurück zum Buch. Darin ist mir zum ersten Mal der Begriff „Überlebende“ begegnet. Ich weiß noch sehr genau, wie überrascht ich davon war. Denn das Wort „Überlebende“ impliziert das Grauen und die Abscheulichkeit, die überlebt wurden. Es erkennt den Abgrund an. Es ist ein starkes Wort.

 

Ich erinnere mich aber auch, dass es mir irgendwann zu viel wurde, dieses ständige Betonen des Überlebens. „Hallo, ich bin Sabine, und ich bin eine Überlebende“. Das ist nach einer Weile nicht mehr stimmig, fast so, also würde Sabine nur noch durch ihren Missbrauch definiert, als sei es das einzige, was bleibt. Als wäre da nicht auch Sabine, die gerne liest und lacht und tanzt und die eine Ausbildung abgeschlossen, ein Kind bekommen, einen Garten angepflanzt hat. Sabine, die für ihre Freunde da ist, immer ein offenes Ohr oder eine Tasse Tee für dich hat. Mit dem Satz „ich bin eine Überlebende“ wird sie reduziert auf etwas, das in der Vergangenheit liegt, auf etwas, das ihr angetan wurde.

 

Survivor

Im Original ist die Überlebende der „survivor“. Im angelsächsischen Raum ist diese Begrifflichkeit viel weiter verbreitet, ebenso die Kultur, in Selbsthilfegruppen Hilfe zu suchen und sich so vorzustellen (My name is… and I am a survivor/addict/alcoholic).

 

Mut

Mir gefällt der englische Titel des Buches: The Courage to Heal. Heilung braucht Mut. Am Anfang den Mut, den Schrecken anzuerkennen, hinzusehen. Und irgendwann den Mut, das Ich weit werden zu lassen.

 

Der erste Schritt

Ich empfehle das Buch übrigens nicht. Es ist ein Zeitzeugnis und als solches wichtig. Die Hilfsmöglichkeiten sind heutzutage aber sehr viel vielseitiger, genauer, sanfter. Setzen an anderer Stelle an.  Und immer würde ich mir wünschen, dass Betroffene jemanden aus Fleisch und Blut an ihrer Seite haben, nicht nur ein Buch.

 

Wenn du wissen willst, wie das aussehen könnte, vereinbare gerne einen kostenfreien Telefontermin, bei dem du alle Fragen stellen kannst.