Trauma und Gesundheit

Kindheitstraumen spielen eine große Rolle bei der Entwicklung von Depressionen und Angststörungen im späteren Leben. Das klingt erst einmal wie eine furchtbare Nachricht: Du hast zwar die Gewalt, die Vernachlässigung, die Misshandlungen oder den Missbrauch in deiner Kindheit überlebt, aber leider bist du jetzt kaputt und es erwartet dich ein kleines, krankes Leben, bloß, weil du als Kind nicht richtig beschützt wurdest.

Wie kann dieser Verlauf gestoppt werden?

Ein Arzt hat einen Versuch gestartet. Er bat Ärzte in ihrem Anamnesebogen, den jeder Patient vor der Behandlung ausfüllen muss, neben Allergien und Vorerkrankungen auch nach Kindheitstraumen zu fragen. Wenn sie dann den Patienten in der Sprechstunde wegen Hämorrhoiden, Erkältung, Ekzemen oder Schizophrenie untersuchten, sollten sie bei einer entsprechenden Antwort kurz darauf eingehen: Ich sehe, dass sie XY überlebt haben. Es tut mir leid, dass Ihnen das angetan wurde. Kein Kind sollte das durchmachen. Möchten Sie darüber reden?

Damit sollten zwei Dinge ermöglicht werden: Zum einen bekamen die Patienten die Möglichkeit, über ihre traumatischen Erlebnisse zu sprechen. Durch das in Worte fassen des Unsagbaren erhielten sie die Gelegenheit, ihre eigene Geschichte zu formen und aus dem unbegreiflichen Geschehen schlau zu werden.

Zum anderen erlebten die Patienten, dass sie nicht verurteilt wurden. Eine Vertrauensperson begegnete ihnen mit echtem Mitgefühl.

Das Schweigen brechen

Sehr viele Patienten wollten darüber reden und für fast alle war es das erste Mal. Und auch zum ersten Mal stellten sie sich selbst die Frage, ob die Erlebnisse aus ihrer Kindheit Auswirkungen auf ihren heutigen Gesundheitszustand haben könnten.

Das Ergebnis dieser langjährigen Studie war, dass Patienten, die auf diese Weise angesprochen und gehört wurden über Jahre 35 Prozent weniger wahrscheinlich weitere medizinische Hilfe benötigten. Patienten, denen darüber hinaus auch eine psychotherapeutische Begleitung angeboten wurde, waren sogar 50 Prozent weniger wahrscheinlich innerhalb des folgenden Jahres erneut in einer Arztpraxis anzutreffen.

Scham

Ein wichtiger Rückschluss, der daraus gezogen werden kann, ist, dass es nicht das Kindheitstrauma allein ist, das später zu z.B. Depression oder Angststörungen führt, sondern in erheblichem Maße das Schweigen darüber.

Kindheitstraumen sind mit sehr viel Scham behaftet. Dadurch, dass sie so gut weggepackt werden, haben sie Gelegenheit, in alle möglichen Bereiche hinein zu wuchern und die Scham wächst. Einen Teil von sich zu verbergen und zu denken, man wäre wertlos, kann ein Leben vergiften.

Die Geschichten, die wir uns erzählen

Ein zweiter wichtiger Punkt ist der: Ein Kind, das nicht ausreichend geliebt wird, entwickelt ein Bild von sich als nicht liebenswert. Damit schützt es die Eltern und es lässt die Möglichkeit offen, vielleicht doch eines Tages geliebt zu werden. Das geschieht tief im inneren, es ist kein bewusster Prozess und wird nicht formuliert. Die Gelegenheit zu bekommen, über die Vergangenheit zu sprechen, ermöglicht, dieses Selbstbild in Frage zu stellen. Sollte ein Kind so behandelt werden? Was würdest du als Erwachsener sagen, wenn Eltern ihr Kind als „nicht liebenswert“ bezeichnen?

Mit wem sprechen?

Zum Schluss noch ein Hinweis: es ist wichtig, dass du dich in einem sicheren Rahmen anvertraust, wenn du das erste Mal dein Schweigen brichst. Wie der für dich aussieht, ist individuell verschieden. Großeltern, Elternteile oder andere Menschen, die dich in der Vergangenheit nicht beschützt haben, haben vielleicht nichts bemerkt. Vielleicht haben sie aber auch weggesehen, weil sie nicht sehen wollten. Sehr oft wollen sie dann auch heute nichts damit zu tun haben. Die Menschen in der Studie haben deswegen so eine starke Veränderung erlebt, weil ihnen mit Mitgefühl begegnet wurde und sie nicht verurteilt wurden. Das solltest du auch für dich in Anspruch nehmen.

Wenn du dir vorstellen kannst, dass ich ein angemessenes Gegenüber für dich sein kann, vereinbare gerne einen Termin.