Das hat mich eine Klientin neulich gefragt: Ob ich nach einem Tag voll schlimmer Geschichten eigentlich selbst reif sei für Therapie. So gefragt: nein. Das, was mir in der Therapie erzählt wird, belastet mich nicht.
Was mich wirklich interessiert
Sicher, es ist manchmal schrecklich, was manche Menschen erlebt haben, zu welcher Gewalt oder Grausamkeit Menschen fähig sind. Sehr oft kommt der Schmerz aber nicht von Dingen, die angetan wurden sondern von all dem, das gefehlt hat, nicht da war, leer blieb. Und wenn auch zu Beginn der Therapie oft das Erlebte im Vordergrund steht, einmal betrachtet und geteilt werden will, so interessiert mich doch weniger die Geschichte, als das was du daraus gemacht hast. Zwei Menschen können ein ganz ähnliches Schicksal teilen und doch völlig anders damit umgehen. Ich will wissen: was geht in dir vor? Welche Schlüsse hast du aus deiner Lebensgeschichte gezogen? Wie reagiert dein Nervensystem? Was haben deine inneren Anteile zu sagen?
Mitfühlen ohne mitzuleiden
Ich fühle mit, aber ich leide nicht mit. Es sind nicht meine Erlebnisse. Ich bin in meiner Rolle als Therapeutin dafür da, Zeit und Raum zu schaffen, so dass du dich distanzieren kannst von deinen Erlebnissen, nicht verhaftet bleiben musst und Möglichkeiten entdecken kannst für ein anderes (Er-)Leben. Gelingende Therapie schenkt dir Freiheit. Du lernst selbst zu bestimmen, wie du mit Ereignissen umgehst, Beziehungen führst, Entscheidungen triffst statt dich nur in Mustern zu bewegen, nur in Reaktionen festzustecken.
Mein eigener therapeutischer Weg
Was aber schon stimmt: Natürlich muss ich selbst wissen, wie das geht, diesen Weg schon gegangen sein. Deshalb stand am Anfang mein eigner therapeutischer Prozess. Ich habe immer wieder Therapeuten aufgesucht auf meinem Weg und Hilfe angenommen. Manchmal aktiv und manchmal eher zufällig, weil es z.B. Teil einer Ausbildung war.
Therapie endet nie ganz
Und auch heute noch suche ich Unterstützung, wenn ich sie brauche. Manchmal ist es etwas Altes, das noch einmal einen bestimmten Aspekt zeigt, manchmal ist es eine Veränderung in meiner Lebenssituation, eine Unsicherheit, die sich zeigt. Ich weiß inzwischen, dass der Weg nicht endlos ist. Dass es nicht darum geht, irgendwann „fertig“ zu sein sondern darum, von einem besseren Platz aus zu agieren.
Supervision als Rückversicherung
Was jedoch vorkommt: Manchmal nehme ich eine Sitzung mit in die Supervision. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich einen blinden Fleck habe, dass du dich im Kreis drehst, weil ich dir womöglich im Weg stehe oder ich irgendwo nicht hinschauen möchte. Denn auch das ist wahr: persönliche Entwicklung ist ein andauernder Prozess. Manchmal brauchen wir intensivere Begleitung und bleiben eine längere Zeit bei einem Therapeuten, dann gehen wir eine Weile alleine weiter bis etwas geschieht und wir wieder Hilfe in Anspruch nehmen. In der Supervision klärt sich für mich, ob es etwas gibt, wo ich noch hinschauen darf oder ob du richtig bist, da wo du bist. Du mehr Zeit brauchst oder auch meine Bereitschaft, auch dann bei dir zu bleiben wenn du mal auf der Stelle trittst.
„Bin ich dir zuviel?“
Die Anfangsfrage meiner Klientin war eine Rückversicherung. Sie hat verinnerlicht, dass sie niemandem zur Last fallen darf, sie darf nicht stören oder anstrengend sein oder etwas wollen. Und überhaupt: am Besten macht sie alles alleine mit sich aus und „stellt sich nicht so an“. Ihr Frage war also: Bin ich dir zu viel? Und weil ich weiß, dass viele Menschen mit dieser Angst leben, zu viel zu sein, sich zurücknehmen und klein machen, sage ich es jetzt auch für dich: Nein, du bist mir nicht zu viel. Du belastest mich nicht. Im Gegenteil: ich freue mich darauf, dich kennenzulernen. Mit dir gemeinsam zu entdecken, wer hinter all dem Kram steckt, zu welchen Höhen du dich aufschwingen wirst. Du bist herzlich willkommen. Mit allem, was du mitbringst.